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26/4–7/6/2024
Eröffnung 25/4/2024 — 18:30

Von Symbionten und Monaden

Stefanie Gerstmayr
Rolf-Maria Krückels
Nina Annabelle Märkl

Kuratiert von den Künstler*innen



Von Symbionten und Monaden
Perspektiven erkennen, Freiräume eröffnen

Wie können Kunst und Ausstellungspraxis zeitgemäße Bündnisse mit inhaltlichem Anspruch und Engagement schließen? Das Nachdenken über Formen des Zusammenwirkens und über Wechselwirkungen im gleichzeitigen Miteinander von Lebewesen und ihrer Umwelt hat eine lange Tradition und ist – trotz mancher fehlgeleiteter Medienberichte – natürlich keine Erfindung des Kuratorenteams der „documenta fifteen“, welches Grundsätze wie etwa Kollektivität und gerechte Verteilung von Ressourcen konzeptionell in den Vordergrund der Schau von 2023 stellte.

So ist etwa der Begriff „Ökologie“ eine Wortschöpfung aus dem 19. Jahrhundert. Der deutsche Naturwissenschaftler Heinrich Anton de Bary (1831–1888) bezeichnete Ende der 1870er-Jahre Beziehungen zwischen zwei Lebensformen zum gegenseitigen Nutzen als Symbiose. Auch der Terminus „Mykorrhiza“, der für Pilz-Pflanze-Verflechtungen steht, wurde vor etwa 150 Jahren erstmals verwendet. Heute führen wissenschaftliche Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass 90% aller Pflanzen ohne symbiontische Bindungen zu Pilzen nicht überleben können. Interessant in diesem Zusammenhang scheint der Gedanke, dass ent­gegen der Evolutionstheorie Charles Darwins – demgemäß sich die stärkeren, am besten angepassten Lebewesen gegenüber den weniger starken durchsetzen und überleben – in einer Gemeinschaft durchs Zusammen­arbeiten das Überleben erst gesichert ist. Die Symbiose: Erfolgsmodell und Hoffnungsträgerin!

Nach dem Zweiten Weltkrieg war es Josef Beuys, der in den 1960er-Jahren über die Definition eines erweiterten Kunstbegriffs Modelle von sozialem und kollektivem Handeln entwirft. Sein Konzept sah vor, durch Kooperation und Dialog in Politik und Gesellschaft Kräfte und Transformationen zum Wohle aller freizusetzen. Mit der Fluxus-Bewegung etablierte sich zeitgleich eine Kunstrichtung, die alles Bürgerliche und Elitäre ablehnte, hingegen nach neuen kollektiven Lebensentwürfen suchte. Überlegungen, die
bereits im Dadaismus vorformuliert waren. Das künstlerische Arbeiten sollte nun im Sinne eines Gesamtkunstwerks mit Musik, Theater, bildender Kunst, Tanz, Literatur und anderem mehr in alle Lebensbereiche unmittelbar hineinwirken. Der Übergang zwischen Kunst und Leben war fließend. Gemeinschaftlich arbeiten und leben war die Devise. Das Leben ist ein Kunstwerk, das Kunstwerk ist Leben!

Die Idee des kollektiven Kunstschaffens war und ist oftmals als Ablehnung oder Revolte gegen herrschende Wertesysteme zu verstehen und eng
an alternative Gesellschaftskonzepte geknüpft. Das Ziel vieler Kollektive kann als Versuch einer Art Lebensreform verstanden werden, als Geflecht aus Kooperation und Interaktion, als Veränderung des sozialen Lebens und Arbeitens durch Kunst. Zudem stellt sich für die Kunst angesichts drohender Pandemien, dem fortschreitenden Klimawandel und verheerender Kriege die Frage nach ihrer aktuellen Aufgabe? L’art pour l’art, eine Kunst, die sich als ästhetische Position selbst genügt und keinem äußeren Zweck verpflichtet fühlt, scheint in diesen Zeiten obsolet. Neue Handlungen und Konzepte müssen her.

Die Schau „Von Symbionten und Monaden“ im Künstlerhaus Klagenfurt stellt eine Fortführung der kollektiven Zusammenarbeit von Stefanie Gerstmayr, Rolf-Maria Krückels und Nina Annabelle Märkl dar. In vorangegangenen Projekten entwickelten die drei Künstler:innen bereits rauminstallative Ausstellungen, in denen die einzelnen Positionen im Zusammenspiel neue inhaltliche Perspektiven und Blickwinkel eröffneten.

Auch für das aktuelle vorliegende Projekt in Kärnten gilt: Auf das Arbeiten im Kollektiv wird fokussiert, gemeinsam werden Freiräume für die Einzelnen geschaffen und im Rahmen des Ausstellungsaufbaus soll der experimentelle Charakter ihrer Zusammenarbeit unterstrichen werden.

Es geht um Vertrauen und Zusammenhalt. Obgleich im Hinblick auf die Ausstellung gemeinsam konzipierte Werke entwickelt wurden, wird seitens der drei Protagonist:innen erwartet, dass beim Installieren und im Kommunikationsflow untereinander möglicherweise Überraschendes zutage treten wird. Inhaltlich geht es grundsätzlich um das Ausloten von Spannungsfeldern symbiontischer und monadischer Prozesse. Die meisten der Werke wurden im Ping-Pong- respektive Dialog-Prinzip verwirklicht. Wechselseitige Vorgaben waren zu erfüllen, auf das Gegenüber musste reagiert werden um das Zusammenwachsen individueller Gestaltungs­vorstellungen und unterschiedlicher Materialien zu erreichen. So bilden einerseits Ritzzeichnungen auf Scaperboard die Basis für später ent­standene Malereien und Kartonarbeiten, die sich retrospektiv auf die Zeichnungen beziehen. Gipsreliefs interagieren mit Linienführungen aus Federstahl, Objekte aus Aluminiumblech korrespondieren mit Dispersionswandmalerei. Andererseits können die einzelnen Werke – losgelöst aus ihrem dialogischen Kontext – auch als autonome Setzungen für sich stehen.

Aspekte wie Arbeitsteilung und flache Hierarchien entsprechen dem Zeitgeist. Der friedliche Grundgedanke, gemeinschaftlich Kunst zu erarbeiten, erscheint heilsam in einer krisengebeutelten Welt. Bereits seit etwa einem Jahrzehnt ist der Trend zu mehr kollektiver Autor:innenschaft im Kunstbetrieb zu beobachten: In den letzten Jahren wurden mehrere Kollektive für den britischen Turner Prize nominiert, Großausstellungen wie die Berlin Biennale 2020 und 2023 die letzte documenta in Kassel von Gruppen zusammen­gestellt, die Kunsthalle Wien wird seit längerem von einem Kuratorinnenkollektiv geleitet, deren Mitglieder in Zagreb, Wien und Berlin leben. Dennoch bleiben einige Punkte bis dato unbeantwortet: Lösen sich Kunstwerk und Urheber im klassischen Sinn auf? Entzieht sich eine Künstlergemeinschaft der eindeutigen Zuschreibung und ist dadurch ein Verlust von Verantwortlichkeit die Kehrseite der Medaille? Das Kollektiv und die damit verbundenen Fragen nach zeitgemäßen Organisationsformen von Gemeinschaft und Arbeits­zusammenhängen sind jedenfalls längst
in der Kunstwelt angekommen. Die einzelne Stimme wird dabei immer öfter zugunsten eines solidarischen „Wir“ zurückgenommen. Aber wo fängt das Kollektiv an und wo hört das Individuum auf?

Hartwig Knack

 


Kleine Galerie und Botanischer Garten Klagenfurt

27/4–7/6/2024
Eröffnung 27/4/2024 — 11:00

les fleurs du paradis
Michael Seyer

In Kooperation mit dem
Schwerpunktjahr Fotografie 2024

18/5/24 — 11:00
Artist Talk mit Michael Seyer

 

Etwas Neues sehen und verwundert sein.

Photographie ist für mich ein Risiko.
Immer ein Aufbruch ins Ungewisse.
Eine Ausstellung beginnt mit
dem Kultivieren des Moments,
wo alles passieren kann.

Kunst sollte immer ein Sprungbrett in die Improvisation sein. Ich liebe es, am Sprungbrett des Experiments zu federn.

Momente der Inspiration anzuleuchten und auszuhalten ist ein fotografisches Zentrieren auf höchstem Niveau und gleichzeitig ein Verlassen des ewig gleichen „walk of line“.

Manchmal glaube ich an die Kraft der Photographie als Schöpferin von lebendigen Utopien. Mein Ausstellungsraum soll deshalb immer auch ein Ort sein, der Mut fassen lässt, der Hoffnung weckt und einen visuellen Nährboden zu Veränderung im Denken und Handeln anbietet.

Ich weiß nicht genau, ich glaube mit der Naivität des Kindes in mir – ans Staunen.

Michael Seyer

 

les fleurs du paradis

Blumen und Gärten werden seit jeher mit dem Paradies assoziiert, ohne jedoch eine allgemeine Vorstellung vom Paradies zu haben. Doch haben wir denn eine entsprechende Vorstellung von Pflanzen, Blumen? Wir tun jedenfalls so, als seien wir uns sicher, sie wäre umfangreicher als jene vom Paradies und so ist es naheliegend, diese Ausstellung mit dem Botanischen Garten in Klagenfurt zu verknüpfen.

Zu Beginn der Menschheitsgeschichte beschränkt sich die Beschäftigung mit der Botanik nur scheinbar auf das Wesentliche, nämlich die Nahrungs­suche. Damit die Wiedererkennung nützlicher, wie auch gefährlicher
Pflanzen gelingt, rekurrieren wir auf charakteristische, möglichst konstant wiederkehrende Merkmale und stoßen damit ein Tor zu ungeheurer Vielfalt auf. Eine Vielfalt an Farben, Gerüchen, Geschmäckern und Formen sowie an Interaktionen mit anderen Lebewesen und der Umwelt.

Bereits die antiken Griechen gliedern den Pflanzenkörper in einzelne Organe und sie stellen Beziehungen zwischen ihnen her. Später erfassen Gelehrte weitere Zusammenhänge und kategorisieren Farben und Formen sowie deren Ausprägungen und Übergänge. Erkenntnisse der Optik erhellen spannende Konnexionen von Blüten, mathematische Reihen, wie beispielsweise jene von Leonardo da Pisa, auch Fibonacci genannt, beschreiben Blattstellungen und Proportionen. Ergänzt durch die Rhythmik des Wachstums nähern sich letztere einem vollkommen erscheinenden Ideal, dem Goldenen Schnitt. Von dort ist es nur ein kleiner Schritt zur Kunst des Sehens, Erkennens, Interpretierens und zur Kunst des Malens mit Farbe und Licht.

Mag. Dr. Roland K. Eberwein
Abteilungsleitung
Kärntner Botanikzentrum, kärnten.museum

 



 

Raumansichten Fotos © Johannes Puch

 

 

Stefanie Gerstmayr, o.T., 2023
Installation mit zwei Skulpturen und Wandzeichnung, Polymergips, Glasfaser, Klebeband, Stahlseil, 200x280x280 cm

Kollaboration Gerstmayr, Krückels
Rolf-Maria Krückels, Zwei Tänzer, 2020
Öl, Tusche, Epoxy, Papier auf Karton, 120x80 cm
Stefanie Gerstmayr, Moment II, 2020
Dispersionsfarbe auf Wand

Rolf-Maria Krückels, The Ring 5, 2012
Yggdrasil, Tinte, Öl auf Transparentpapier, 290×150 cm

Kollaboration
Krückels / Märkl

Nina Annabelle Märkl, Big Creatures 2, 2024
Aquarell, 165x100 cm


 

„Wenn ich doch die Welt nur staunen machen könnte“, 2024
(Zitat Thomas Bernhard), Farbfotografie

Im Augenblick der Entscheidung gefangen sein, 2024,
Farbfotografie


Die Badenden gewanden sich in Blätter, 2024
(Hommage an Honore’ Fragonard Die Badenden, 1756, Louvre Paris) Farbfotografie

Raumansichten Fotos © Johannes Puch