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13/1 – 17/2/2023

space oddity

Alessia Armeni
Andrea Freiberg
Marina Paris
Mariel Poppe

Kuratorin Andrea Freiberg
Co-Kurator Adriano Napoleoni

 

Space Oddities
floating in peculiar ways

Das Deutsche ist – wie uns die Linguistik lehrt – eine kompo­sitionsfreudige Sprache. Worte lassen sich geradezu nach Belieben zusammensetzen. Je allgemeiner das Lexem, desto größer die Varianz und Kombinierbarkeit. Schnell gelangt man vom Welt- zum Wohn-, vom Farb- zum Tiefenraum, von der Raumwirkung zur Raumerfahrung oder auch zum Raumkonzept. Das Feld weitet sich, wenn, wie im Titel der Ausstellung geschehen, Referenzen ins Spiel kommen und man mit komplexen Ausgriffen in verschiedene Kulturräume konfrontiert wird, Räume, die besetzt sind mit historischen Bezügen, gefüllt mit Allusionen und Assoziationen – David Bowie und Stanley Kubrick, die Heldenreise des Homerischen Epos, Albert Einstein und Edwin Hubble, Sojus und Apollo, Yuri Gagarin und Neil Armstrong, die Schwerkraft und ihre Überwindung – soweit wie die Assoziationen tragen.

Die solchermaßen durcheilten Denk- und Diskursräume werden durch Relativität und Relationalität bestimmt. Seltsamkeiten, Rätsel und Magie wohin man schaut. Neben die „spukhafte Fern­-wirkung“ der Quantenverschränkung oder die „dunkle Energie“, die das Universum entropisch auseinandertreibt, neben die Geheimnisse des subatomaren oder intergalaktischen Raums, treten vertrautere, naheliegendere „oddities“, die Wunderlich­keiten städtischer oder sozialer Räume etwa, oder auch die Verzauberungen medialer Darstellungs- und Wahrnehmungsräume, begehbare Installationen hier, „soundscapes“ dort und zuhause sentimentalisch eingerichtete Erinnerungsorte.

„Space“ ist in der Physik ein gänzlich ungelöstes Problem und auch für die Kunst stellt der Raum eine permanente und immer wieder neu zu bewältigende Herausforderung dar. Die Beschäftigung mit dem vielgestaltigen Phänomen nötigt zu Übersetzungen und Vereinfachungen. Wer drei- oder gar vierdimensionale Wirklichkeiten in zweidimensionale Bildräume verdichten will, kommt nicht ohne spezifische Techniken aus. In der Geschichte haben sich Rhetoriken (und auch Poetiken) der Raumdarstellung herausgebildet und tradiert. Zu den formalen Kunstgriffen gehören unter anderem Abstraktion, Projektion und Diagrammatik, aber natürlich auch alle nur denkbaren Ausprägungen von Skalierung und Perspektive. Die bei Vitruv grundgelegten Darstellungsweisen der Architektur, Grundriss, Aufriss, Schnitt (Ichnographia, Orthographia, Scaenographia) greift Marina Paris auf und setzt sie gleichsam in Bewegung. In der Arbeit Less than five minutes werden verschiedene szenographische Situationen durchlaufen und mit der unterlegten Tonspur ver­störende Imaginationsangebote gemacht, die dazu nötigen, die abstrahierten Raumfolgen in je eigene Wirklichkeiten hinein­zuholen und mit persönlichen Erfahrungen abzugleichen.

Das ebenso Seltsame wie auch Allgemeingültige der Bilder besteht, wie angedeutet, in ihrer Relationalität. Das Neue wird von den Betrachtenden stets mit schon Bekanntem ins Verhältnis gesetzt und der aktuelle Reiz neben die Vorräte erinnerter Vorkommnisse gestellt. Die Wirkung von Mariel Poppes Mauer­fragmenten und Fake Towers beruht in diesem Sinne auf kognitiven Aushandlungsprozessen. „Odd“ erscheint die Monumentalisierung des Kleinen dann, wenn die Räume des eigenen Erlebens nach Ähnlichem abgesucht werden und der dadurch konstatierte Maßstabsbruch einem als besonders und neu vor das innere Auge tritt. Ohne Zweifel sind solche Abgleichungsprozesse ideosynkratisch und übernehmen im Alltag Schutzfunktionen. Vergleiche stellen Mechanismen der Aufwandsreduzierung dar. Mit dem immer größer werdenden Schatz innerer Bilder versucht sich das Individuum gegen un­­angenehme und unpassende äußere Eindrücke zu immunisieren.
Verstörendes und Bedrohliches hält man sich vom Leibe. Die Dialektik dieses psychohygienischen Filtersystems hat Vilém Flusser einmal auf den Punkt gebracht und auf Bilder bezogen: „Der Mensch ‚ek-sistiert‘, das heißt, die Welt ist ihm unmittelbar nicht zugänglich, so dass Bilder sie ihm vorstellbar machen sollen. Doch sobald sie dies tun, stellen sie sich zwischen die Welt und den Menschen. Sie sollen Landkarten sein und werden zu Wandschirmen: Statt die Welt vorzustellen, verstellen sie sie, bis der Mensch schließlich in Funktion der von ihm geschaffenen Bilder
zu leben beginnt.“*

Der Gedanke wäre vielleicht dahingehend zu erweitern, dass sich schwerlich Bilder denken lassen, die nicht raumevozierend wirken. Der dreidimensionale Körper des Menschen möchte und muss sich ohne Unterlass verorten und will sich auch imaginativ in Räume einschreiben. Schon ein schwarzer Punkt auf weißem Grund drängt dazu, raumgenerierende Netze auszuwerfen, um so möglicherweise die visuelle Information mit Koordinaten zu umgeben und damit auf sich selbst zu beziehen. Alessia Armeni konfrontiert die Betrachter*innen in ihren Bildern mit Variationen vorgestellter Räume. Die Flächen verwandeln sich eben da in Tiefenräume, wo sie die Phantasie dazu ertüchtigt. Um einen solchen anthropologischen Automatismus zu stören, werden Fährten zur Verunsicherung des ersten Eindrucks gelegt, räum­liche Stimmigkeit absichtsvoll subversiert und der imaginative Raum in die plane Wirklichkeit zurückgeholt. Diesem changieren­den Angebot aus Oberflächen- und Tiefenreiz stellt Andrea
Freiberg das Relationale realer Raumbeziehungen entgegen. Im Mittelpunkt ihrer Arbeiten stehen Fundstücke, die mit ihren gemalten Widergängern konfrontiert werden. Die Interdependenz der verschiedenen Seinsweisen der Gegenstände setzt reziproke Sinnzuweisungen frei. So verweisen die Dinge, die man zum Beispiel in der Arbeit Fontana sieht, nicht nur aufeinander, sie bilden sich ab und informieren sich dergestalt gegenseitig. Diese Verschränkung erschafft eine neue, zusätzliche Raumdimension, ein Intermedium, das sich zwischen Objekt und Objektivation aufspannt und von dort ebenso ver- wie entzaubernd wirkt.

Die grundsätzliche Seltsamkeit des Raumes ist ohne Frage seine Ubiquität. Es scheint banal, sich in ihm zu orientieren und zu bewegen, ihn zu nutzen, zu bedenken, zu imaginieren, ihn zu abstrahieren, projizieren oder auch zu diagrammatisieren. Niemand hat im Alltag Probleme mit dem Raum als lebenswelt­licher Kategorie. Doch unmöglich bleibt es, das Wesen des Raumes zu ergründen. Je mehr man es versucht, desto stärker zerfließt er in Unbestimmbarkeit und Unschärfe – schwebt in ganz eigentümlicher Weise in alle Richtungen, wie die Arbeiten der Ausstellung eindrucksvoll bezeugen.

Joseph Imorde

 

*Flusser, Vilém: Für eine Philosophie der Fotografie. Göttingen: European Photography 1983, 10.


Kleine Galerie

Petar Waldegg
Tiden

Stehend, hoch über den Klippen der Insel Cres, belauscht man das Meer in den tiefen Abgründen des Eilands. Einatmen, ausatmen, in regelmäßigem Rhythmus bewegen sich die Wassermassen. Wie ein lebendiges Wesen, das sinniert über Zyklen des Lebens. Und zu diesen Kreisbewegungen gehört auch der Mond, gehört die Sonne …

 

 

 


Alessia Armeni
Linea d’ombra, 2016
Oil on canvas, 40x40 cm
Courtesy: Sebastiano Luciano


Andrea Freiberg
CAMERA, 2021
Oil on canvas, 150x100 cm
Courtesy of artist


Marina Paris
less than five minutes, 2009
Videoinstallation with Alberto D’Amico, 4.44”
Courtesy of artist


Mariel Poppe
From the series
Fake Towers (Nr 45, 46, 47), 2020
assemblages, 42x18x10 cm, 27x12,5x7 cm, 43x12,5x6,5 cm
Courtesy of artist

 

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Raumansichten
Alle Fotos Michael Watzenig

 

Raumansichten
Alle Fotos Michael Watzenig