10/7–8/8/2020
Mit Bergen den Blick reparieren
Stella Antares, Oscar Cueto, Gerhard Fresacher,
Eva Funk,
Nina Herzog, Leon Höllhumer,
Daniel Hosenberg, Evelina Jonsson, Yein Lee,
Meina Schellander, Patrick Topitschnig, Chin Tsao,
Eugen Wist, Gisela Zimmermann
Kuratiert von Céline Struger
Vernissage: 7/7/2020 – 19 Uhr
„Klara,“ sagte ich, „ist denn nicht neben all’ den köstlichen Quellen der Poesie und allen Wissens auch die Herrlichkeit dieser Natur, die uns umgiebt (sic), eine solche, ja eine Hauptquelle der
Erquickung? Marie kennt diese, warum kann sie nicht mehr daran trinken?“ „Sie hat nie recht daran getrunken,“ meinte Klara, „ihr inneres Auge war nie geöffnet für diese Schönheit.“ „Sollte es
nicht Krankheiten geben, die auch die geöffneten Augen schließen und die Aufnahme all’ dieser Erquickungen unmöglich machen könnten, Klara?“ „Nein,“ sagte sie bestimmt; „ausgerüstet mit
den geweiteten Blicken des Gebildeten, dem alle Quellen des geistigen Lebens geöffnet sind, kann uns ein solches Kranken nicht niederwerfen. “...” Versiegt für uns eine Quelle, die uns Kräfte des Lebens zugeführt, so kennen wir tausend andere, daraus wir schöpfen können; wir müssen nicht ermatten, wie das Land, dem der einzige Bach vertrocknet, dessen Wasser es grünen gemacht.”
Johanna Spyri, HEIDI (1880)
Für die Ausstellung Mit Bergen den Blick reparieren untersuchen sieben Kärntner und sieben internationale Kunstschaffende
die Repräsentation von Landschaft in Medien- und Populärkultur. Ausgehend von Herkunft und individuellen Erfahrungen kann
ein und derselbe Ausblick als verheißungsvolles Versprechen
oder als politisch motivierte Drohgebärde gedeutet und missbraucht werden. Das Erfahren von Landschaft ist nicht ausschließlich privat, sie stellt ein knappes, kollektives Gut dar.
Sie wird universell von wechselnden nteressensgruppen für politische oder wirtschaftliche Agenden okkupiert. Die bildende Manifestation dieser Ideologien tragen jedoch fast ausschließlich Künstlerinnen und Künstler, die den RezipientInnen Raum und Projektionsflächen für individuelle Erinnerungen, Erwartungen
und Träume einräumen.
Angesichts der globalen ökologischen Krise stellt die Natur
im ersten Drittel des 21. Jahrhunderts das wertvollste Gut der Menschheit dar. Ihre Erhaltung sollte oberste Priorität haben
und das nicht nur aus selbstloser ethischer, sondern auch aus
individuell-egoistisch ökonomischer Sicht. Doch diese Ausstellung soll sich nicht mit Natur in ihrer Gesamtheit befassen, sondern
mit „Landschaft“ – einem Konstrukt, das die Menschheit, vor allem auch durch die Kunst getragen, seit tausenden von Jahren in allen Teilen der Welt begleitet.
Die künstlerisch simulierte Landschaft war immer schon ein
Ausdruck des Zeitgeists einer bestimmten Epoche, aber auch
der individuellen Sehnsucht des Künstlers und der Künstlerin. Bereits auf antiken Fresken wurden stilisierte Ausschnitte eines Naturraums als Untermalung dramatischer Szenen dargestellt.
Im Mittelalter fanden flächige Interpretationen des Paradieses,
in der Renaissance perspektivische Gartenansichten Eingang
in die Kunstgeschichte. Alle diese Momentaufnahmen hatten eines gemeinsam: Ihnen wohnte einerseits ein dokumentarischer und archivarischer Charakter inne, andererseits bildeten sie aber
auch stets eine pessimistisch dystopische oder eine optimistisch utopische Weltsicht ab. Kurz gesagt, Landschaft ist immer ein Kind ihrer Zeit.
Heute, in den Iden des Anthropozäns, sind die Kunstwelt und
ihre AkteurInnen neben der ökologischen Bedrohung auch mit anderen Einflüssen, wie vor allem der Immaterialisierung von Landschaft, konfrontiert. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden Interpretationen von Landschaft erst in Film und Fernsehen, später in Videospielen global verbreitet. So verinnerlichte die Babyboomer-Generation eine fiktive Idee der nordamerikanischen Prärie durch Winnetou-Filme, die in Kroatien gedreht wurden. Viele dieser eurozentrischen Ansätze sind heute, vor allem auch aus postkolonialer Sicht, schlecht gealtert und bedürfen einer kritischen Aufarbeitung.
Die Generation der Digital Natives bewegt sich auf Social
Media und in Computerspielen durch vollständig simulierte
Landschaften, die nur mehr ansatzweise etwas mit ihren analogen Vorbildern gemein haben. Die Lesart virtueller Landschaften
wird heute in erster Linie durch standardisierte Filter auf Foto-
und Videoplattformen geprägt.
Der unlängst durch die COVID Pandemie begünstigte Rückzug in die virtuelle Welt verursachte eine Renaissance romantisierter Stadtlandschaften. So fanden sich Photoshop-Simulationen von Delfinen in den Kanälen von Venedig und betrunkene Elefanten
auf chinesischen Plantagen auf allen Social Media Kanälen wieder und wurden millionenfach geteilt. Unter dem Überbegriff „Die Natur erholt sich von der Menschheit“ wurde ein im ausgehenden 19. Jahrhundert populäres Credo für das Internet adaptiert.
In dieser Ausstellung wird der Schwerpunkt auf die künstlerische Landschaftsrezeption im ausgehenden 20. und im 21. Jahrhundert gelegt. Die Auswahl der Künstlerinnen und Künstler komplementiert exemplarische Kärntner Positionen mit jungen, internationalen Sichtweisen. Gleichzeitig möchte ich auf diese Weise auch postkoloniale Fragestellungen erörtern.
So wird der mexikanische Dschungel sowohl aus der Vogelperspektive Patrick Topitschnigs betrachtet, als auch dessen westliche Rezeption vom mexikanischen Künstler Oscar Cueto kritisch beleuchtet. Der Ausstellungsbesucherin und dem
Ausstellungsbesucher wird es dadurch ermöglicht, sich in dem ästhetischen Spannungsfeld zweier Blickrichtungen zu bewegen.
Die zentrale, skulpturale Arbeit Offene Figur von Meina
Schellander ist formal und konzeptuell an der Wende zum
21. Jahrhundert anzusiedeln. Ihre im wahrsten Sinne des Wortes offene Form soll als Grundstruktur, als das skulpturale Skelett
der Ausstellung fungieren. Ihren durch 3 Dämpfer unterbrochene Waldreihe, 4 verspannten Raumteiler und dem T-Objekt werden die Objekte der koreanischen Künstlerin Yein Lee gegenübergestellt.
Diese treten ihnen in Form von Plastik und Abfallprodukten
als antagonistische Position gegenüber und läuten damit
als Repräsentanten des Anthropozäns das Ende einer von der Moderne geprägten Ästhetik ein.
Eva Funk aus Kärnten formt in ihrem Beitrag unter anderem
Plastiksäcke aus Reispapier – Plastiksäcke, die momentan die größte Bedrohung für die Weltmeere darstellen, während Chin Tsao aus Taiwan in einer Skulptur-Performance die Bedrohungen aus dem Meer, seien es ökonomisch-politische Aggressoren oder einfache Piraten, besingt.
Stella Antares, Daniel Hosenberg und Gisela Zimmermann bilden die zweidimensionalen, also fotografischen, semi-fotografischen und malerischen Beiträge. Antares befasst sich thematisch mit den Auswirkungen der Landschaft auf die Körper der Menschen, die sie bewohnen und bearbeiten, am Beispiel ihrer eigenen Familienbiografie, Hosenberg lässt die Landschaft selbst Spuren auf seinen Bildträgern hinterlassen, und Zimmermann nähert sich gestisch-abstrakt einer „inneren Landschaft“ an.
Die interdisziplinär zwischen bildender und darstellender Kunst Tätigen Nina Herzog und Gerhard Fresacher schaffen einen Raum-im-Raum, ein Terrarium für Menschen, durch das die
AusstellungsbesucherInnen beobachtet werden und so einem voyeuristischen, ausbeutenden Blick ausgesetzt sind. Einem
Blick, ohne den heute keine Landschaft definiert und für den
Tourismus ”gebranded” werden kann. Im Hinblick auf eine
mythische Flora und Fauna spielt auch Leon Höllhumer mit
Voyeurismus und Ausbeutung, indem er auf seinen Druckarbeiten als stark sexualisiertes Mischwesen in Erscheinung tritt.
Im Gegensatz dazu nähert sich Evelina Jonsson dem Trash in
einer ätherisch wirkenden digitalen Videoarbeit an. Eine langsame,
verwinkelte Kamerafahrt führt die Besucherin und den Besucher durch einen sich ständig verändernden, bedrohlichen Mikrokosmos aus finster dreinblickenden Gottesanbeterinnen und
Riesenpilzen, die zwischen Unrat wuchern. In einem abgedunkelten Setting werden ihr die Leuchtskulpturen Eugen Wists zur Seite gestellt. Diese aus Zinn und Kabeln bestehende
Werkgruppe wird vom Duft einer einzelnen Erdbeere begleitet,
die an die Wand appliziert wird.
Mit der Auswahl und Zusammenstellung dieser Positionen möchte ich einen frischen Blick auf ein altgedientes Konzept werfen und eine Vielzahl an unterschiedlichen subjektiven Landschaftsansichten vorstellen. Ausgehend von unterschiedlichen Medien (Grafik, Malerei, Fotografie, Skulptur, Sound/Video und Performance) nähern sich die KünstlerInnen den Schnittstellen landschaftlicher Ästhetik und deren Instrumentalisierung an.
In einem raumgreifenden Setting bespielen sie den Hauptraum und die Seitengalerien des Künstlerhauses Klagenfurt multimedial.
Baustoffe, Naturprodukte und Recyclingmaterial werden zu einer Simulation von Landschaft zusammengefügt. Darin findet dann eine zeitgenössische Annäherung traditioneller Kunsttechniken wie Malerei, Skulptur und Fotografie ihren Anfang, die von neuen Medien und digitaler Kunst ergänzt und schließlich in den Landschaftsbegriff des 21. Jahrhunderts übertragen wird.
Die so konstruierten Szenerien werden im Rahmen der Eröffnung, des Sommerfests und der Finissage von den Performance-KünstlerInnen in mehreren Akten bespielt und rearrangiert.
Ziel ist es, die Abgrenzungen zwischen den Kategorien Display, Installation und Bühne aufzuweichen und an ihnen das romantische Konzept der „heilenden Landschaft“ zu evaluieren. Begleitet wird die Ausstellung von einem Rahmenprogramm, welches
das Publikum bei performativen Lesungen und Performances einbezieht. So werden z.B. themenbezogene Fragestellungen wie Ökologie und Digitale vs. „Reale“ Landschaftssimulation mit den KünstlerInnen im Rahmen eines Artist-Talk erörtert.
Céline Struger
Kuratorin
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