VON KENTAUREN UND MENSCHEN
Ein Versuch sich dem zeichnerischen Werk von Josef Enz zu nähern
Unvermittelt und ohne Vorwarnung trifft man am Stadtrand von Klagenfurt auf den Atelierturm des Künstlers, den er vor mehr als fünfzehn Jahren als eremitisches Zentrum seiner Arbeit errichtet hat. So unvermittelt und wehrhaft wie die Architektur selbst begegnet dem Besucher auch das erstaunliche künstlerische Werk von Josef Enz.
Ein blauer Kubus im Maß von 7 x 7 m beherbergt Atelier, Werkstatt, Denkstube und Bibliothek und stellt gleichzeitig nach außen hin dar, woran im Inneren gearbeitet wird. Fassadenfüllende Aluminiumbleche bilden nach drei Seiten großformatige Bildträger für eine monumentale einzigartige künstlerische Gestaltung. Ein zeichnerisches Experiment hat Enz mit diesem gigantischen Werkzyklus begonnen, das mit Sicherheit noch in anderen Bereichen Anwendung finden wird.
Er ersetzt die Feder und den Stift durch den Metallschleifer und zeichnet direkt - nach Vorstudien - in die Metalloberfläche. Durch Drehen und Kanten hat er in einer speziellen Technik die Fähigkeit erworben, die Linienführung leicht und flüssig wie am Papier zu halten und dem Strich – trotz Handling mit der Maschine - eine individuelle Färbung zu geben. Die so „gravierten“ Motive legen schimmernde Metallschichten frei, deren optischer Reiz bei verschiedenen Lichtstimmungen besonders gut zur Geltung kommt. Auch motivisch öffnet die Gestaltung des Turmes ein Tor zum künstlerischen Kosmos des Zeichners und bereitet den Besucher vor auf die Begegnung mit MYTHOS und GROTESKE. Themen, die Josef Enz laut eigenen Aussagen als Irrationalbereicherung der menschlichen Existenz, als Evokation einer archetypischen Ander(s)welt versteht. Titanen, Fabelwesen und Kentauren und immer wieder der Mensch in seiner Vitalität, Sinnlichkeit und Archaik stehen im Zentrum seiner Gestaltung und dienen als Überleitung zu einzelnen Werkserien in verschiedenen Techniken, die in den letzten Jahren im Atelier entstanden sind.
Josef Enz steht als Zeichner von technischer Brillanz und Unverwechselbarkeit des Striches im Zeichen einer langen kunsthistorischen Tradition, die auf der Unerschöpflichkeit der Linie basiert. Der Linie, die als Inbegriff des Zeichnerischen schlechthin und als eigentliche „Abstraktion der Dingwelt“ begriffen werden kann. Die Natur kennt keine Linien, das Setzten des Striches beim Zeichnen - wie im übrigen auch beim Schreiben - ist ein Akt einer intellektuellen Vision von der Hand zum Papier. Der lineare Duktus wird dabei zum sichtbaren Teil des Unterbewusstseins und zum Ausdruck einzigartiger Individualität, schreibt Walter Koschatzky in „ die Kunst der Zeichnung“.
Beim Betrachten der Arbeiten von Enz werden – nicht zuletzt aufgrund seiner Motivik - Assoziationen zu bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten frei. An Francisco de Goyas Grafiken ist man versucht zu denken, die Eindringlichkeit des Blattes „der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ kommt einem in den Sinn und Enzs umfangreiche Serien von Feder- und Stiftzeichnungen der vergangenen Jahre lassen auch die Phantasiewelt eines Alfred Kubin wieder auferstehen, dessen alptraumhafte Illustrationen vor kurzem auch den Kärntner Literaten Josef Winkler inspiriert haben.
„ Ich verzichte auf alles bis auf den Strich und entwickle ein seltsames Liniensystem. Einen fragmentarischen Stil – mehr geschrieben als gezeichnet- PSYCHOGRAFIK nenne ich dieses Verfahren“, schreibt Kubin 1908, und mehr als hundert Jahre später klingt diese Definition wie eine Beschreibung des künstlerischen Werkes von Josef Enz. „Psychografiker“ – wäre eine perfekte Bezeichnung für Enz, der viele Jahre als klinischer Psychologe tätig war, und dessen künstlerische Interessen in der Tiefgründigkeit des menschlichen Dasein und seiner Geschichte liegen.
Die menschliche Figur steht – auch wenn das erst auf den zweiten Blick ersichtlich ist - im Mittelpunkt des kalligraphischen Werkes des Künstlers. In schnellen nervösen Linien ist in den letzten Jahren eine Vielzahl von Arbeiten entstanden, die durch scheinbar unreflektierte Spontaneität und reflektierte Improvisation bestechen. Unvermittelt arbeitet Enz in seiner eigenwilligen Bildsprache, die Figuratives, Mythologisches, Reales, Surreales und Archetypisches zugleich zeigt und die manchmal eigenwillig befremdlich wirkt. Seine narrativen Bilderserien über geflügelte Wesen, Figuren, die um Leben und Tod ringen, haben etwas Urgewaltiges, dem man sich instinktiv nicht entziehen kann. Fern von Effekthascherei und Mainstream zeigen sie eine Welt, die - wie er selbst sagt - metaphysisch und mythologisch deutbar ist und die im übertragenen Sinn den existenziellen Kampf des Menschen darstellt. Das Reitermotiv, eine Darstellung, die KünstlerInnen vom Mittelalter bis zur Moderne inspirierte, ist eines von vielen wiederkehrenden Elementen in seinen Werken. Es dient ebenso als Ausdruck einer bildgewordenen Verschmelzung von animalischer und menschlicher Kraft und Vitalität, wie als spannendes Motiv anatomischer Studien in Kampf und Bewegung. Letztlich mündet es in der Bildsprache von Josef Enz nicht selten in Abbildungen von Kentauren, den bekannten Mischwesen aus Mensch und Pferd aus der griechischen Mythologie.
Enz, der Experimentierer und Autodidakt, sucht immer neue Wege und Techniken, seinem Verständnis von Zeichnung gerecht zu werden. Seiner dunkel gehaltenen Farbpalette entgegen kommend, hat er in den letzten Monaten eine spezielle Technik der Enkaustik entwickelt, die zu reliefartig grafischen Arbeiten geführt hat. Nicht mit dem Pinsel oder der Feder entstehen die Motive, sondern in einer Art „Schüttung“ aus eigens dafür hergestellten Gefäßen. Damit erhält der Strich eine neue haptische Dimension und Konsistenz, die in weiteren Arbeitsschritten geschliffen, poliert und weiter bearbeitet werden kann. In Schichten wird so das Bild vom Hintergrund in den Vordergrund erarbeitet. Grau-braune bis schmutzig- blaue Hintergründe bieten die Bühne für neue Fabelwesen und figurative Darstellungen, die in Ansätzen bereits Geschaffenes sublimieren. Als weiße oder schwarze Höhungen treten die Gestalten quasi skelettiert – wie von allem Überflüssigen befreit - zum Vorschein. Befremdlich anmutende bewaffnete Mischwesen als Protagonisten einer apokalyptischen Erzählung, Kreaturen aus einer anderen Welt im Kampf miteinander oder in dicht gedrängten Szenerien, wie man sie von prähistorischer Malerei her kennt. Die mystische - manchmal martialische - Phantasiewelt von Josef Enz sprengt die Grenzen des Fassbaren und Erzählbaren. Er agiert mit einer nicht zu enträtselnden Symbolik und spielt mit menschlichen Urängsten.
In seiner letzten Ausstellung kommen neben der menschlichen Figur und ihren Verwerfungen auch imaginäre Porträts vor. Wie helle Schattenrisse zeigt Enz Profilköpfe, die als Relief vor gekratzten Hintergründen erscheinen und in ihrer Statik an Fossilien denken lassen. Die zum Teil geschütteten Flächen kontrastieren mit den Linien und wirken wie gebleichte Knochensubstanz als Metapher für Vergänglichkeit.
Schon ein kurzer Aufenthalt im Atelierturm von Josef Enz wirkt wie eine Zeitreise, als würde man eine Welt betreten, die schon lange verloren ist, und in die Farbigkeit einer Unterwelt eintauchen, die von Schattenwesen, Titanen, Menschen und Kentauren bewohnt wird. Seine unverwechselbare künstlerische Handschrift, seine Themen und Imaginationen weisen ihn als Eremiten aus, der in seinem Turm ein Tor gefunden hat zu einer anderen , zu einer archaischen ,vergessenen Welt, die er mit seinen Arbeiten an die Oberfläche bringt.
Ulli Sturm
September 2012 |
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Biografie
geb. 1949 in St.Pölten, studierte in Salzburg Psychologie/Romanistik. Dreiunddreißig Jahre klinischer Psychologe an der ortsfesten Stellungskommission des Österreichischen Bundesheeres in Klagenfurt.
Schon während des Studiums interessierten mich projektive Diagnoseverfahren. Die künstlerischen Erzeugnisse von psychiatrischen Patienten faszinierten mich. Das Interesse an der eigenen Zeichnung entwickelte sich erst spät im Alter von 48 Jahren, wurde aber dann sofort existenzbeherrschend. Mein Interesse für Literatur findet seinen Ausdruck im Schreiben von Aphorismen.
Mich interessieren die existentiellen Dimensionen des Menschen. Meine Zeichnungen sind daher naturgemäß figurativ. Die Hauptachse der Arbeiten verläuft zwischen Akt und Portrait. Die Darstellungen sind stets imaginär, oft visionär und metaphysisch-mythologisch deutbar und der narrative Ansatz ist unübersehbar. Ich tendiere zur Groteske, die ich als Irrationalbereicherung der menschlichen Existenz, als Evokation einer archetypischen Anderwelt verstehe.
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